Gewalt im Namen der „Ehre“
Von Kontrolle im Alltag über Freiheitsentzug und Zwangsverheiratung bis hin zu schwerer Körperverletzung – durch „Ehre“ motivierte Gewalt kann viele Formen annehmen. Sie fußt auf im Familiensystem und im sozialen Umfeld verankerten patriarchalen Denkweisen.
Gewalt im Namen der „Ehre“ unterscheidet sich von anderen Formen der Gewalt im engsten sozialen Umfeld durch die Legitimationsstrategie der Täter:innen: Das Ansehen und die Selbstachtung einer Familie wird von der Unterwerfung ihrer Mitglieder unter einen streng patriarchalen Sexual- und Geschlechterrollencodex abhängig gemacht, den Täter:innen zum Beispiel traditionell, kulturell oder religiös begründen. Frauen und Mädchen gelten als „Trägerinnen der Ehre“. Ihnen wird Keuschheit und Gehorsam abverlangt. Verfehlungen müssen verhindert oder bestraft werden, um die „Ehre“ aufrecht zu erhalten. Dazu gehören zum Beispiel:
- vor- oder außereheliche Beziehung, Flirten, sexuelle Kontakte (auch, wenn diese nicht einvernehmlich waren) oder Schwangerschaft
- Kontakte zu Personen, die das Umfeld ablehnt
- Verweigerung einer arrangierten Ehe
- Trennungs- oder Scheidungswunsch
- Homosexualität
- Widerstand gegen Vorgaben zu Kleidung oder Freizeitgestaltung, Streben nach Unabhängigkeit (Berufswünsche, Auszug aus der elterlichen Wohnung etc.)
Kontrolle, Druck und Gewalt werden in der Regel nicht von einer einzelnen Person ausgeübt, sondern durch weitere Angehörige oder das gesamte Familiensystem mitgetragen und befürwortet. In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Bedeutung von Herkunft oder Religion als Einflussfaktor durch teils stigmatisierende Berichterstattung oft überbewertet und patriarchale Gewalt als „Ausländerproblem“ abgetan. Aussagekräftiger als diese Kriterien sind patriarchal geprägte Geschlechter- und Generationenbeziehungen im individuellen familiären und sozialen Umfeld.